Fliesen-Ausstellung

Vernissage am 10. Dezember 2017 um 18:00 Uhr bei Helena Francisco «Haare & so» Ostertorsteinweg 105a 28203 Bremen. Nagelneue Fliesen aus 4 Jahrhunderten.

Für alle, die sich weiter mit den Hintergründen befassen wollen, stelle ich die  Begleittexte zur Ausstellung No2 hier ein [15.12.: jetzt auch die ausgestellten Fliesen]. Das ergänzende Bildmaterial dazu steht aus rechtlichen Gründen auf der (leider anmeldepflichtigen) Internet-Plattform ‹pinterest› [Schrägstrich 2312grg Schrägstrich no-2]

Ökonomische Kunst.  [Kopien unbekannter Meister]

Wohl kaum ein Fliesenmaler hätte sich in der Vergangenheit als Künstler bezeichnet. Er/Sie arbeitete mit ‹sponzen›, den Durchstaubschablonen, die der Chef-Designer nach irgendeinem Kupferstich umgezeichnet hatte und malte brav die punktierten Linien auf der ungebrannten Glasur nach. Mal 20 hiervon, mal 20 von jenem Motiv oder auch mal an die 100 gleiche Dekors an einem Werktag, je nach Bestellung. Mitte 17. Jahrhundert für knapp einen Gulden Tageslohn als angestellter Geselle; 2-5 Gulden kosten Hundert einfach bemalte Fliesen im Verkauf. Zum Feierabend hin wird der Wunsch, etwas Anderes, Eigenes zu malen so groß, dass man sich doch noch ein Plättchen nimmt und anfängt mit dem Motiv zu spielen … hier überschreitet der ‹Kunsthandwerker› die dürre Linie zum Künstler – einige wenige anonyme Meister haben einen solchen ‹persönlichen Gruß› hinterlassen. Die Besten aus meiner (digitalen) Antiquitätensammlung möchte ich hier gern zeigen und hab sie darum reproduziert. Gruß zurück an die Kollegen.

«Feierabendfliesen»   [de-waterloo.de]

Ich mache natürlich keine 100 ‹Colleen-Fliesen› am Tag. Wenn ich vier davon gemalt habe, will ich schon was anderes machen. Vorlagen frei abzuwandeln, was bei den Kollegen früher die Ausnahme war, macht bei mir eher ein Viertel der Produktion aus. Die ‹spons› ist immer die gleiche, dann bekommt Colleen mal einen dicken Pulli, mal Shorts oder eine Meer-Schwester. Wirklich gut wird die ‹Feierabendfliese› erst durch die ‹Routine des Standards›. Als Hokusai mal von seinem Kaiser gebeten wurde, ihm eben schnell eine Ente zu malen, ging er erstmal heim. Monatelang ließ der Kaiser immer wieder fragen, wie lang das denn noch dauert, eine alberne Ente zu malen. Nach einem Jahr kam Hokusai mit einem leeren Blatt! Darauf malte er mit wenigen Pinselstrichen in Sekunden die beste Ente und sagte, es dauert ein Jahr! Der besondere Reiz vieler alter Fliesen aus der früheren Massenproduktion liegt genau in diesem hundertfachen Wiederholen und Rationalisieren der Bewegungen und Pinselschläge. Im Ergebnis ist es dann nicht mehr sooo viel, was den Fliesenmalerlehrling vom großen Meister Hokusai unterscheidet.

Glückliche Jahre in Delft   [Pieter de Hooch (Rotterdam 1629 – Amsterdam? ca. 1684)]

De Hooch war in seiner Delfter Zeit Nebenerwerbs-maler, wie viele seiner Kollegen. Er heiratete 1654 in Delft die Tochter des Fayence- und Fliesenfabrikanten Hendrick van der Burch und zwei seiner Kinder sind hier im Taufbuch nachweisbar. Es gab keinen zwingenden Anlass Auftragsportraits anzunehmen, die Szene kann also mit großer Wahrscheinlichkeit bei de Hoochs zuhause angesiedelt sein. Mit diesen Anhaltspunkten und noch etwas mehr Recherche kann eventuell sogar ausnahmsweise der Fliesenmaler des reich bebilderten Kamins ausfindig gemacht werden. Bei der bunten, spaßbetonten Mischung von Figurenfliesen können die Motive, auch wenn sie nicht sehr deutlich gemalt sind, leicht identifiziert werden, weil es davon noch reichlich Vergleichsstücke im Antik-Handel gibt. Gut zu erkennen ist einer der heute gern gesammelten ‹kakkers› – jepp, der Niederländer flieste es sich in den Wohnbereich! Das Interieur ist auf der Höhe der Zeit in der kleinen ‹Craft-Hipster-Stadt› – und de Hooch ist dabei.    Auch wenn die Kunsthistoriker die Köpfe schütteln, ich meine, hier malt einer, was er sieht, wie fürs Familienalbum: seinen fröhlichen, gelungenen Nachwuchs, die prächtigen Brüste seiner Frau, sein schickes Wohnzimmer, Kamin mit Großbild-Flatscreen … denn, seit Menschen das Feuer haben, sitzen sie drumherum und glotzen stundenlang rein. Was es zu sehen gibt (von oben nach unten) unterscheidet sich wenig vom heutigen Boulevard-Magazin oder Gala-News-Feed: Dschungelcamp mit Fremdschämen: iiieh; VIPs und Royals: ui; Religiöse Minderheiten: Haha; Party-party-party: Yeah! Wenn man genau aufpasst, ändern sich die Bilder heute auch nicht – nur die Schlagzeilen darunter wechseln; die hat sich Vatter de Hooch damals wenigstens noch selber ausdenken können, wenn er mit der Familie um den Kamin saß.

Vintage-Look anno 1655  [Esaias Boursse (Amsterdam 1631-1672 auf dem Seeweg nach Südostasien)]

Diese farbigen Ornament-Fliesen waren in den 1610er Jahren in Mode, als die Fayence-Produktion in den nördlichen Niederlanden mit dem Fachwissen eingewanderter Handwerker aus dem heutigen Belgien gerade erst begann. Boursses Eltern sind Einwanderer aus Wallonien (ebf. Belgien) und heirateten 1618 in Amsterdam. Als er, etwa 24-jährig, dieses Bild malte, war seine Mutter bereits um die 60 – möglich, dass sie die Abgebildete ist. Auffällig ist, dass fast stärker als die Person, hier die ‹belgischen› Fliesen portraitiert sind, die schon gut 10 Jahre an der Wand klebten, als Boursse auf die Welt kam – vielleicht in diesem Haus? 1655 sind diese Fliesen schon lange nicht mehr im Handel – blau-weißer Asia-Trend ist angesagt – sind also entweder ‹Mega-Out› oder schon ‹Retro›, etwa so als würde ich heute eine moosgrüne Fliesenwand mit aufgeklebten Pril-Blumen malen. Für uns sieht das heute alles uralt aus – für Boursse aber eben auch schon. Die paar Hintergrundinformationen verändern die denkbare Absicht des Künstlers sehr stark und lassen sein Statement im Bild moderner erscheinen als das 250 Jahre später ähnlich aufgebaute Gemälde Hermann Knopfs.

Auftragsarbeit fürs Bordell? [Willem Basse (Amsterdam, 1613 – 1672)]

Im 17. Jh werden diese Bildmotive bereits unter der Sammelbezeichnung ‹bordeeltje› gehandelt und erfreuen sich reger Beliebtheit bei Grafikern, Malern und Kunden, gerne auch untertitelt mit der Bibelgeschichte vom ‹verlorenen Sohn› (der sein Erbteil im Puff verprasst, später Schweine hüten muss …), um dem Ganzen einen moralisierenden Außenanstrich zu verpassen. Es wurde schon seitenlang über dieses Bildthema spekuliert – prinzipiell bleibt nicht ausgeschlossen, dass diese Abbildung auch in privatem Rahmen angesiedelt sein kann. Interessanter ist die Frage nach den Fliesen: Basse hat bei dem, am rechten Bildrand angeschnittenen, offenen Kamin nicht einfach nur grob angedeutet ‹Fliesen› eingestichelt. In der Vergrößerung wird klar, dass er bei den nur 8 x 8 Millimeter kleinen Quadraten für jedes Einzelne eine konkrete Bildidee in seine Kupferplatte gravierte. Unter handelsübliche Standardfliesen, Schiffe, Berufsfiguren etc mischte er ungeniert eindeutige Sex-Szenen. Sofern das Fliesenfeld nicht der reinen Phantasie des Künstlers entsprungen ist – was ich für unwahrscheinlich halte – konnte man sich also z.B. als Bordell-betreiber/in damals in einer Fliesenmanufaktur passende Motive fürs Geschäft bestellen? Im Antik-Handel sind Fliesen von solcher Eindeutigkeit heute extreeem selten. Die Masse ‹pornografischer› Werke, die die Zensur des ungleich prüderen 19. Und 20. Jahrhunderts nicht überlebt haben, ist ein bedauerlicher Verlust und verfälscht bis heute nachhaltig die Kunstgeschichtsschreibung.

Kommentare in der Fliesenzeile?  [Johannes Vermeer (Delft 1632 – 1675); ‹Melkmeisje› (gemalt 1657-1660)]

Vermeer hat in etwa 22 Jahren seiner aktiven Zeit als Maler nur knapp 40 Bilder gemalt. Das Einkommen der Familie wurde wohl größtenteils aus seiner Tätigkeit als Kunsthändler und dem Immobilienbesitz der Schwiegermutter bezogen. In der Entstehungszeit dieses Gemäldes wohnt er in Delft nahe dem Marktplatz mit seiner Frau, Schwiegermutter und einem bis höchstens drei Kindern. Mit drei Erwachsenen sollte der Haushalt locker zu schaffen sein – eher unwahrscheinlich, dass Vermeer in dieser Zeit eine Dienstmagd beschäftigt. Anders als die meisten Kunsthistoriker gehe ich davon, dass hier tatsächlich Catharina, Vermeers Frau, abgebildet ist. Die ‹rustikale› Malweise, die Arbeitskleidung und die verdeckten Haare lenken leicht davon ab, dass sie starke Ähnlichkeit mit der Frau hat, die auf mindestens fünf weiteren Gemälden Vermeers abgebildet ist. Walter Liedtke, ehemals Kurator am Metropolitan Museum NY, hat auf eine mögliche Bedeutung der Cupido-Fliese rechts unten hingewiesen, ignorierte aber die Dritte in der Reihe, weil er sie nicht entziffern konnte. Vermeer hatte hier zuerst einen gefüllten Wäschekorb gemalt, den er später mit den Fliesen und dem ‹stoof› übermalte. Angenommen Liedtke hatte recht damit, dass Vermeer sich bei jedem Detail etwas dachte – seine extrem langsame Malweise spricht dafür – kann es sein, dass es sich hierbei um eine eher private Notiz an sich selbst oder seine Frau handelt. Es wäre kein Problem gewesen die kleinen Motive deutlich erkennbar zu malen, offenbar ist die erschwerte Lesbarkeit aber beabsichtigt; beide kannten ja ihre Fliesen zuhause und werden gewusst haben was drauf ist. In der Reihe gelesen ergibt sich ein erstaunlich klarer Kommentar: Der Cupido mit dem umgekehrten Bogen – das deutet den abgeschossenen Pfeil an –  trifft den wandernden Gesellen, kann gut ein Malerlehrling sein; der nächste Cupido kommentiert: „Nur die eine!“ –  oooooh, wie romantisch! :..) Die letzte Fliese ist, nach (wirklich sehr) umfangreichen Vergleichen, am wahrscheinlichsten das als Fliese umgesetzte Motiv, das im nächsten Vermeer-Bild riesengroß hinter der Dame an der Wand hängt.

[und bitte: Tracy Chevalier und dieser Hollywood-Film da: es ist alles Blödsinn! Und Scarlett Johannson hätte Catharina spielen müssen … und in einer völlig anderen Geschichte und … §$&%#!!]

‹True Love Knowe But One›  [Johannes Vermeer (Delft 1632 – 1675); ‹Stehende Virginal-Spielerin› (gemalt ca. 1670 – 1674)]

Nach dem Exkurs zum ‹melkmeisje› sollte hier jetzt alles klar sein: Ein Bild für Catharina zum 40. Geburtstag (1671) oder zum 20. Hochzeitstag (1673)! Vermeer liebte wohl die Ruhe – die er aber nur in seinen Bildern hatte: Acht bis Elf Kinder bevölkern mittlerweile sein Haus! Anders als seine Kollegen widmete er sich nie dem Thema Mutterschaft explizit. Das riesige Cupido-Gemälde, das sagt: «es kann nur eine geben» gehörte damals zur Allgemeinbildung und war vielfach publiziert in den ‹Emblemata amatoria›, lustigen kleinen Ratgeber-Büchlein mit Sinnsprüchen in Herzensangelegenheiten. Die Kinder findet man allerdings auch im Bild, nämlich in der ‹Fliesen-Kommentarzeile›, die diesmal gefüllt ist mit den auch heute noch sehr häufig zu findenden Motiv-Serien ‹Kinderspiele›, gemischt mit spielenden Cupidos und gleich neben Catharina, ein Cupido mit Fackel und einer mit Schwert und Schild = in 20 Jahren Ehe gibt’s auch mal Krach? Rechts sieht man nochmal den laufenden Cupido mit Bogen aus dem ‹melkmeisje› (geänderte Richtung!). Die Scheuerleiste schick in Blau-Weiß zu haben war ‹must-have›, Fliesen mit so winzigen Motiven waren da schon … naja … ‹billig?!› Auf manchen der Fliesen scheint das Motiv noch dazu leicht verlaufen oder verzogen zu sein, wie es bei überfeuerten Zweite-Wahl-Fliesen vorkommt (hab versucht, bei einer davon den Effekt zu imitieren). Vermeers hatten keine 200 Meter Fußweg zur nächsten Fliesenmanufaktur, wo sie sich locker die preiswerten aber noch guten Stücke raussuchen konnten. Ist vielleicht sein zweites Statement hier im Bild sein ‹Lob der Hausherrin›: ‹schick, ordentlich und doch sparsam›?

Ein Letztes noch   [Johannes Vermeer (Delft 1632 – 1675); ‹Sitzende Virginal-Spielerin› (gemalt ca. 1670 – 1675)]

Verglichen mit den vorigen Werken Vermeers wirkt dieses traurig, kraftlos und duster. Im Hintergrund ist das riesige Gemälde aus dem Besitz seiner Schwiegermutter zu erkennen (‹Bei der Kupplerin› von Dirck van Baburen), das im Zusammenhang mit dem musizierenden, etwas melancholisch blickenden, fein herausgeputzten Mädchen etwas unpassend wirkt. Es sei denn, man sollte dergleichen damals als generelle (etwas derbe) Metapher für bevorstehenden Herrenbesuch auffassen? Drei Töchter sind mittlerweile zwischen 16 und 21 – könnte es eine davon sein? Angenommen, Vermeer nutzt tatsächlich die Fliesen als Kommentarzeile, so lesen wir hier nichts Erfreuliches: Soldaten und Schiffe, große Eckmotive, wahrscheinlich Lilien, eine Lanze zeigt auf die Lilie? Böse Ahnung oder schreckliche Tatsache – 1672 ist, nach vielen guten Jahren, wieder Krieg in Holland, diesmal gegen die ‹Anti-Niederländische-Koalition› zur See gegen England zu Land gegen die Franzosen. Die lustigen Jahre in der Künstlerstadt Delft sind tatsächlich für sehr lange Zeit vorbei.

Calvinistische Gemütlichkeit   [Gerrit Zegelaar (Loenen 1719 – Wageningen 1794)]

Über hundert Jahre nach Pieter de Hooch malte Gerrit Zegelaar etwa das gleiche Bild. Die Datierung ist etwas unklar, wohl seiner Amsterdamer Zeit, entstanden zwi-schen 1755 und 1773. Das Ölgemälde zu dieser Aquarellstudie (Vor- oder Nach- ist nicht ganz sicher) liegt im Frankfurter Städel-Museum. Verglichen mit seinem, eher noch dem üppigen Klassizismus zugewandten Lehrmeister, orientiert er sich als Dorfkind, zumindest optisch, an den Malern vor hundert Jahren – die Werke de Hoochs oder Jan Steens sind ihm gewiss bekannt gewesen. Ein paar Kleinigkeiten sind anders: Er heiratet relativ spät, mit 38 und seine Ehe bleibt kinderlos, demnach ist das Bild Auftragsarbeit oder Phantasie. Allerdings ist die Menge der Fliesenmotive mit solcher Genauigkeit wiedergegeben und einzeln identifizierbar, dass er sie wohl kaum aus dem Kopf gezeichnet haben kann. Aber der Kamin-Flatscreen bringt leider nur noch ein Programm: Bibel-Kanal. Kindersicherung! Tatsächlich wirkt sich die recht scheinheilige ‹bürgerliche Moral› ab dem 18. Jahrhundert auch auf die Bandbreite der Fliesenmotive aus: Bibel, Landschaft, ‹erbauliches für die Jugend›, Ornamente, kaum mehr. Für sittsame Außenwirkung wird ‹moralisch Verwerfliches› zusehends von den Kunstsparten ausgeschlossen, während unter den Ladentischen die Auflagen steigen.

Malertourist und Hollandromantiker   [Hermann Knopf (Wien 1870 – München 1928)]

Zugegeben, das Bild ist ziemlich witzig, vielleicht aber erst aus heutiger Sicht und nicht so gemeint gewesen. Als einer der kleineren Meister der ‹akademischen› Maler der Jahrhundertwende (Knopf studierte standesgemäß: Wien, München, Paris!) schwimmt er noch mit auf der Welle der Wiederentdeckung des holländischen ‹Goldenen Zeitalters›. Zwischen 1890 und 1910 verbringt er seine Ferien gern im Amsterdamer Umland. Seine Gemälde hat er mit Sicherheit anschließend in seinem Münchner Atelier nach Urlaubsfotos ‹komponiert›: das grinsende Mädchen findet sich identisch auf mehreren Bildern, die Fliesen im Hintergrund sind eindeutig zu groß in die Kollage gesetzt und die Ochsenkopf-Eckmotive konnte er wohl auf den Fotos später im Atelier nicht mehr richtig erkennen und musste sich mit ausgedachten Schnörkeln behelfen. Die Motive sind eine beliebige Ansammlung von Nettigkeiten, wie sie damals jede Manufaktur im Repertoire hatte. Der erzählerische Hintergrund ist schon verloren. Mit Pseudo-Tradition und dem verklärten Blick in selbsterfundene, geschönte Vergangenheit wehrte sich so mancher gegen die drohende Moderne und asphaltiert für das schöne Handwerk vom ‹Delfsch-Blauw› den Weg runter zum Kitsch, wo es heute herumdümpelt. Danke, Hermann Knopf!

Feiner Zwirn und Schmutzige Gedanken [Gabriel Metsu (Leiden 1629 – Amsterdam 1667).]

Auf den ersten Blick ein ruhiges und besinnliches Bild. Die Fliesenleiste zeigt Vogelmotive, die im Raum Amsterdam und Gouda recht gebräuchlich waren. ‹Een jongeman die bezig is met schrijven en aan de andere kant vogelen› (gemalt ca. 1664-66). Kunsthistoriker lieben anzügliche Ikonografie und sind damit oft zu schnell bei der Hand – hier könnten sie nicht ganz falsch liegen, die holländische Bildbeschreibung sagts klar zweideutig: ‹Ein junger Herr, der beschäftigt ist mit Schreiben und andererseits Vögeln›. Der Doppelsinn ist in Holland gleich. Weitere Tiere im Bild unterstützen die These: die Böcke im völlig übertrieben gerahmten Bild an der Wand und ein kleiner Hund, den aber nur noch Eingeweihte finden: auf dem Himmelsglobus hinter dem geöffneten Fenster ist zu erkennen, dass ‹canis minor› gerade über den Horizont kommt. Das Pendant zu diesem Bild zeigt – ebenso fein gemalt – die Lesende Dame, die also offenbar flachgelegt werden soll. Rustikaler Bildungsbürger-Humor.

Frivoles Bilderrätsel oder der Weg zu Mondrian? [Samuel van Hoogstraten (Dordrecht 1627 – 1678)]

Was hier wirklich vorgeht ist schwer zu sagen. Von den Fliesen existieren keine vergleichbaren Exemplare (freundliche Auskunft Johan Kamermans, Kurator Nederlands Tegelmuseum). Große Lilien-Eckmotive und orientalisch gekleidete Figuren sind in den Farbklecksen auszumachen, die man in zeitgenössischen illustrierten Reiseberichten, aber auch Bilderbibeln recht ähnlich wiederfindet. Unbekannt ist allerdings die Figurenfliese mit durchgehend gemalter Landschaft am unteren Rand. Erst spanische Fliesen um 1800 sind so gestaltet, allerdings in bunt. Ist das Bild eine Fälschung? Hoogstraten selbst hat in einigen seiner Bibelillustrationen solche Kostüme verwendet, ich habe daraus eine neue Version von Fliesen gemacht, die es eventuell so mal in Dordrecht gegeben haben könnte.

Folgt man den Bilderrätsel-Symbolen ins Bild hinein, kann man eine scheinbar eindeutige Reihe bilden: Der Türgriff der offenen Tür, Besen und Putztuch – vernachlässigte (häusliche) Tugend, ausgezogene Pantoffeln, der Schlüssel im Schloss, die krumme Kerze, schließlich rechts oben ein Gemälde Gerard ter Borchs (mit knallrotem Himmelbett im Hintergrund) ähnlich dem, das heute ‹die väterliche Ermahnung› heißt. Das wirft reichlich neue Fragen auf – abgesehen davon, dass der oft herangezogene vermeintliche Schlüssel, das Gemälde an der Rückwand, in seinem Titel schon eine rein neuzeitliche Annahme/Fehlinterpretation enthält, denn andererseits ist jeder Gegenstand für sich gewöhnlich und an einem glaubwürdigen Ort, wodurch die Tiefendimension seiner jeweiligen Bildebene für den Betrachter schnell und unmittelbar erfassbar ist. Hoogstraten interessierte sich für ‹3D-Effekte›! Mit dem Weglassen der üblichen Figuren macht er den Anfang auf dem Weg zur abstrakten Moderne. Entfernen wir alle Gegenstände aus dem Bild sind wir nur noch einen winzigen Schritt entfernt von Mondrian.

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